55 - Offenbarung und Antrieb

Wie steht es allgemein um die gesellschaftlich verantwortete Inklusion im Sport in Deutschland, fragt sich Thomas Abel, Mitglied der DOSB AG Inklusion.

Vielfältige Initiativen in den Vereinen setzen sich für gleichberechtigte Teilhabe ein. Foto: LSB NRW
Vielfältige Initiativen in den Vereinen setzen sich für gleichberechtigte Teilhabe ein. Foto: LSB NRW

In diesem Jahr werde ich 55 Jahre alt. Da die Fünf meine Lieblingszahl ist, beginnt offensichtlich- von den Zahlen her gesehen - mein bestes Lebensjahr. Die 55 liegt mir also gar nicht schwer im Magen. Mein eigener Zugang zum Themenfeld Inklusion war und ist der Bereich des Sports von Menschen mit Behinderungen. Ich bin sehr froh, dass ich in den letzten 25 Jahren dabei Menschen kennenlernen und Dinge zum Teil neu lernen durfte. Vielleicht habe ich auch ein paar Dinge inzwischen verstanden, besonders, weil mir andere Menschen durch das Teilen ihrer Sichtweise geholfen haben Dinge zu verstehen. Die Fortschritte der letzten 25 Jahre im Bereich der Inklusion im Sport sind absolut bemerkenswert. Ich empfinde das jedenfalls als wunderbar (eine Bereicherung)!

Gerade das ist ein Grund, warum mir die 55 schwer im Magen liegt! Der 3. Teilhabebericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2021 weist aus, dass 55 Prozent aller Menschen mit einer Behinderung nie sportlichen Aktivitäten nachgehen. Bei den Menschen ohne Behinderung liegt die Zahl bei nur 32 Prozent. Vor dem Hintergrund des bewiesenen Wertes von Bewegung, Spiel und Sport für uns Menschen sind diese Zahlen ausgesprochen problematisch. Im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderungen sind sie eine zutiefst negative Offenbarung für unsere Gesellschaft. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich Menschen mit und ohne Behinderungen in ihrer Affinität zum Sport nicht unterscheiden. Damit muss der Unterschied in ihrer sportlichen Teilhabe gesellschaftlich verantwortet sein. Ausgehend von dieser Überlegung ergibt sich für mich die Frage: wie steht es allgemein um die gesellschaftlich verantwortete Inklusion im Sport in Deutschland? Wie steht es darum, im Sport Vielfalt in den unterschiedlichsten Diversitätsdimensionen willkommen zu heißen?

Ich bin ein optimistischer Mensch und deshalb ist mein Blick eher positiv. Ich finde die Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren sehr beachtlich. Der organisierte Sport hat sich zur Verantwortung des Systems für das Gelingen von Teilhabe und Inklusion bekannt und viel Zeit, Energie und Kraft in Planungen, Strategien, Satzungen, Leitlinien und die Finanzierung von wissenschaftlichen Untersuchungen investiert. In den Verbänden und Sportbünden sind vielfältige Initiativen umgesetzt worden, es wird beraten, unterstützt und in den Vereinen gibt es fantastische Aktionen, wunderbare Begegnungsräume und selbstverständlich gelebte Teilhabe. Oftmals gelingt es, Vielfalt wirklich willkommen zu heißen. Das ist gut und wichtig. Diesen Blick dürfen wir uns als im Sportsystem aktive Menschen auf gar keinen Fall nehmen lassen.

Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der organsierte, ebenso wie der vereinsungebundene Sport, ist immer noch geprägt von umfänglichen Diskriminierungserfahrungen, von Ausgrenzungen, von Gewalt, insbesondere als körperliche oder sexualisierte Gewalterfahrung. Im Sport wurde und wird der Wert von Vielfalt missachtet. Kommt es zu bewussten und unbewussten, mitunter tief traumatisierenden Begegnungen, wird Vielfalt alles andere als willkommen geheißen. Diese Situationen müssen wir erkennen, benennen und dafür Sorge tragen, dass sie in Zukunft nicht mehr an der Tagesordnung sind. Das sind wir den Menschen schuldig, die in ihrer Vielfalt im Sport Missachtung erfahren oder gar Verletzungen auf unterschiedlichen Ebenen davontragen. Dort wo Menschen Unrecht erfahren haben, da gilt es sich zur Verantwortung des Systems zu bekennen, sich zu entschuldigen, zu entschädigen und wo immer möglich, zu versöhnen. Wir sind das der immensen Bedeutung des Sports schuldig, die durch die beschriebenen Dinge erheblichen Schaden nimmt.

Eindeutig ist, dass damit hohe (An-)Forderungen gestellt werden, die gerade im ehrenamtlichen Vereinswesen schnell zu Überforderungen von Menschen führen können. Was wir demnach brauchen ist eine Stärkung des Ehrenamts und zusätzlich eine Bereitschaft zu einer guten Fehlerkultur. Diese versteht die Reflexion des eigenen Handelns nicht als Inquisition, sondern als ein lebenslanges Bemühen, sich dem Ziel ‚Vielfalt vollumfänglich willkommen zu heißen‘, anzunähern.

Was sollen und müssen wir als Organisation und Individuum also tun? Aus meiner Sicht, den Weg gemeinsam weitergehen! Wir sollten starke und belastbare Allianzen bilden! Wir müssen den Mut haben, Dinge anzusprechen und ändern zu wollen. Wir müssen anerkennen, dass Inklusion Zeit braucht, ungeachtet dessen, dass die einzelne Person diese Zeit unter Umständen nicht hat. Wir müssen unsere Bemühungen verstärken, sichere Begegnungsräume zu schaffen, in denen Vielfalt willkommen geheißen wird und gleichsam positiv emotional besetzt erlebbar ist. Das ist etwas, was Menschen besonders im Sport erleben und herstellen können. Wir sollten uns diese Chance nicht nehmen lassen! Diese Erkenntnis hat mich die letzten 55 Jahre gelehrt und begleitet.

(Autor: Univ.-Prof. Dr. Thomas Abel, Mitglied der DOSB AG Inklusion)

In jeder Ausgabe der DOSB-Presse, die wöchentlich erscheint, gibt es einen Kommentar zu aktuellen Themen des Sports, den wir hier veröffentlichen. Diese mit Namen gezeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die offizielle DOSB-Meinung wieder.


  • Vielfältige Initiativen in den Vereinen setzen sich für gleichberechtigte Teilhabe ein. Foto: LSB NRW
    Jugendliche bilden einen Kreis auf einem Sportplatz Foto: LSB NRW

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