Das Deutsche Sportabzeichen als Medium für Inklusion

Gespräch zum Tour-Stopp in Kiel mit dem Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes Friedhelm Julius Beucher und Gernot Mittler, Präsident von Special Olympics Deutschland.

Gernot Mittler, Präsident Special Olympics Deutschland (Foto: BR/Natascha Heuse)
Gernot Mittler, Präsident Special Olympics Deutschland (Foto: BR/Natascha Heuse)

Schwerpunkt des Sportabzeichen-Tourstopps in Kiel am 2. Juli ist erstmals das Thema Inklusion, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam die Prüfungen für das Sportabzeichen ablegen können. Dafür haben der DOSB, der Landessportverband Schleswig-Holstein und der Rehabilitations- und Behindertensportverband Schleswig-Holstein (RBSV-SH) und Special Olympics Deutschland (SOD) eng zusammen gearbeitet.

Im Deutschen Behindertensportverband (DBS), Spitzenverband für den Sport von Menschen mit Behinderung im DOSB, und seinen 17 Landes- und 2 Fachverbänden sind mehr als 650.000 Menschen mit Behinderung in über 6.500 Vereinen aktiv. Special Olympics Deutschland ist mit 40.000 Aktiven die deutsche Organisation der weltweit größten Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung. In einem gemeinsamen Gespräch erörtern Friedhelm Julius Beucher, Präsident des DBS, und Gernot Mittler, Präsident von SOD, wie Inklusion im Sport heute umgesetzt wird und wie das Sportabzeichen zur Inklusion beitragen kann.

Inklusion wird auch im Sport mittlerweile großgeschrieben. Wo stehen wir im Moment im Sport?

F.J. Beucher: Der DBS setzt sich seit mehr als 60 Jahren für Menschen mit Behinderung und deren selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe im und durch Sport ein. Aber auch viele Verbände und Vereine außerhalb unserer Strukturen verstärken ihr Engagement, Inklusion im Sport Wirklichkeit werden zu lassen. Zugleich gibt es mehr Beratungsbedarf von Sportverbänden, Vereinen oder auch Privatpersonen, die sich an uns wenden. Wir begrüßen dieses sehr und nehmen unsere Aufgabe als Kompetenzzentrum für den Bereich von Bewegung, Spiel und Sport von Menschen mit Behinderung gerne wahr. Denn jeder nur so kleine Schritt führt zu mehr Inklusion.

Gernot Mittler: Ich bin zuversichtlich, dass wir auf dem Felde der Inklusion im Sport zügig vorankommen werden. Der DOSB hat Ende des vergangenen Jahres unter der Mitarbeit der Behindertensportverbände ein Positionspapier zum Thema Inklusion verabschiedet und ist auch entschlossen, die Umsetzung der dort formulierten guten Vorsätze voran zu treiben. Dass das Thema ist auch in den Fachverbänden angekommen ist, haben im Mai die Special Olympics Düsseldorf 2014 bewiesen. Die Unterstützung des organisierten Sports bei der Umsetzung der Wettbewerbe war ein wichtiger Aspekt für das Gelingen. Wichtig sind der regelmäßige Austausch und der Blick auf die Basis. Hier gilt es für uns insbesondere, Fortbildungsangebote für die Vereine zu schaffen, und dort Barrieren, auch Ängste im Umfang mit behinderten, insbesondere mit geistig behinderten Menschen, abzubauen. Denn eines ist klar: Ohne die Sportvereine, ohne ihre Bereitschaft, sportliche Angebote für Menschen mit Behinderung zu schaffen, wird Inklusion nicht gelingen.

Welche Chancen bietet das Deutsche Sportabzeichen, um den Inklusionsgedanken zu verwirklichen?


Gernot Mittler: Bereits das Training und schließlich die Abnahme des Deutschen Sportabzeichens schaffen Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung. Das Erreichen des Ziels ist Bestätigung und Anerkennung für persönliche Leistung, und es stärkt das Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein. Da spielt die Behinderung keine Rolle, sondern die Gemeinsamkeit des Erreichten steht im Vordergrund.

F. J. Beucher: Wenn jeder und jede teilnehmen kann, das ist Inklusion. Und das Deutsche Sportabzeichen ist eine ideale Maßnahme, um gemeinsam Sport zu treiben und gemeinsam Erfolge zu feiern. Seit über 60 Jahren existiert ein Leistungskatalog mit verschiedenen Behinderungsklassen, der ständig durch den DBS weiterentwickelt und angepasst wird. Dieser macht es möglich, dass jeder Mensch nach seinen individuellen Voraussetzungen gleichberechtigt das Deutsche Sportabzeichen erwerben kann.

Viele Stationen der Sportabzeichen-Tour der letzten Jahre hatten den thematischen Schwerpunkt „Menschen mit Behinderung“. Was erwarten Sie vom Halt in Kiel?

Gernot Mittler: Vor allem viele sportbegeisterte Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, die sich bei Abnahme des Sportabzeichens begegnen. Diese Erfahrung mögen die Teilnehmer mit in die Vereine nehmen mit dem Ziel, dass dort dauerhaft sportliche Angebote geschaffen werden.

F. J. Beucher: Ich erhoffe mir, dass der Impuls der gemeinsamen Erfahrung in Kiel sich auch auf andere Tour-Standorte überträgt. Unser Ziel ist es, dass die Teilnahme von Menschen mit Behinderung an der Sportabzeichen-Tour des DOSB eine Selbstverständlichkeit wird. Wir als Fachverband können dabei als Partner zur Verfügung stehen und zum Beispiel qualifizierte Prüferinnen und Prüfer mit Prüflizenz für die Abnahme des Deutschen Sportabzeichens für Menschen mit Behinderung bereitstellen.

Der DOSB, der Landessportverband Schleswig-Holstein, der Rehabilitations- und Behindertensportverband Schleswig-Holstein und Special Olympics Deutschland arbeiten eng für den Halt der Sportabzeichen-Tour in Kiel zusammen. Was verspricht diese Kooperation?


F. J. Beucher: Zu allererst möchte ich mich beim Rehabilitations- und Behindertensportverband Schleswig-Holstein bedanken. Insbesondere bei Wolfgang Tenhagen, der sich als Präsident des RBSV und Bundesbeauftragter des DBS für das Deutsche Sportabzeichen für Menschen mit Behinderungen seit Jahrzehnten in diesem Bereich engagiert und auch in Kiel ein wichtiger Kooperationspartner für den DOSB ist. Er und seinem Team gilt der Dank für die fachlich-kompetente Umsetzung des Deutschen Sportabzeichens für Menschen mit Behinderung in Kiel. Vor dem Hintergrund allen Menschen einen Zugang zum Deutschen Sportabzeichen zu ermöglichen, möchten wir gemeinsam mit DOSB und SOD – auf Landes- und auch Bundesebene – enger zusammenarbeiten. Dies bezieht sich auch auf den Deutschen Gehörslosen-Sportverband und seine Landesvertretungen, denn Menschen mit Hörminderung können durch eigene Leistungsbedingungen, auch am Sportabzeichen teilnehmen.

Gernot Mittler: Diese Zusammenarbeit beweist, dass für die Umsetzung des Themenfeldes Inklusion das Know How aller drei Verbände notwendig, zielführend und gewinnbringend ist. Es ist ein tolles Beispiel, dass nicht Eigeninteressen im Vordergrund stehen, sondern zeigt eindrucksvoll wie Inklusion dauerhaft umgesetzt werden kann.
Die Sportabzeichen-Tour 2014 hat bei Special Olympics Schleswig-Holstein ein ganz konkretes Projekt bewirkt, das schon wegweisend ist: Das 7-köpfige Sportteam der Norderstedter Werkstätten, das auch Mitglied im RBSV-SH ist, hat im Rahmen der Sportabzeichen-Tour im Stadion des Kieler Sportforums 8 Sportstudenten der Christian-Albrechts-Universität für einen Tag in der Disziplin Leichtathletik unterrichtet. Ergebnis war nicht nur Spaß und gegenseitige Akzeptanz, sondern der ausdrückliche Wunsch zur künftigen Zusammenarbeit und weitere Treffen. Mein Wunsch und meine Erwartung sind daher, dass wir auch über die Sportabzeichen-Tour hinaus den Sport für Menschen mit Beeinträchtigung in Schleswig-Holstein voranbringen.

Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre? Was sind die nächsten Schritte auf dem Weg hin zur Umsetzung von Inklusion im Sport?

Gernot Mittler: In der DOSB-Presse vom 27. Mai heißt es sinngemäß über die Special Olympics Düsseldorf 2014: Inklusion ist ein erstrebenswertes Ziel. Wie es sein könnte, ist ab und zu heute schon zu erkennen, wie zum Beispiel bei den Nationalen Spielen in Düsseldorf. Dort war vor allem zu sehen, dass Unterschiedlichkeit kein Problem ist und Anderssein normal.
Ziel muss es sein, das Sportangebot für Menschen mit Behinderung in diesem Sinne auch im Alltag zu erweitern. Den Sportvereinen kommt eine besondere Rolle zu. Deren Funktionsträger und Übungsleiter müssen sich dazu zunächst mit dem Thema Inklusion überhaupt einmal vertraut machen. Dazu brauchen wir sehr spezielle Fort- und Weiterbildungsangebote. Special Olympics sieht sich hier in der Pflicht und engagiert sich in der Fort- und Weiterbildung. Wir wollen Verbindungs- und Scharnierstelle sein zum organisierten Sport und dabei unsere Erfahrung und Kompetenz für gemeinsamen Sport von Menschen mit und ohne Behinderung einbringen.

F. J. Beucher:  Auch ich wünsche mir, dass unsere Landesverbände und deren Vereine ihr Engagement für eine inklusive Sportlandschaft weiter auf- und ausbauen. Unter anderem sollen viele Menschen das Deutsche Sportabzeichen und deren Mehrwert für sich entdecken und sich dadurch zum lebensbegleitenden Sporttreiben animiert fühlen. Als Dachverband beteiligt sich der DBS auf verschiedenen Ebenen an der Umsetzung der Inklusion. Ein weiterer wichtiger Schritt für den DBS ist der „Index für Inklusion im und durch Sport“, an dessen Erstellung verschiedene Partner, unter anderem auch Special Olympics Deutschland, beteiligt sind. Der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Index soll als Wegweiser inklusive Prozesse im organisierten Sport verstärkt initiieren. Der Index erscheint Ende September und kann in digitaler Form kostenfrei über den DBS bezogen werden.

(Quelle: wirkhaus)


  • Gernot Mittler, Präsident Special Olympics Deutschland (Foto: BR/Natascha Heuse)
    Gernot Mittler, Präsident Special Olympics Deutschland (Foto: BR/Natascha Heuse)
  • Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (Foto: DBS)
    Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (Foto: DBS)

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